,,Wir verfügen heute über eine Reihe von Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten und können daher den meisten Patientinnen helfen.“

Interview mit Prof. Dr. phil. Joachim Weis, Professor für Selbsthilfeforschung am Universitätsklinikum Freiburg
Prof. Dr. phil. Joachim Weis

Fatigue zählt zu einer der häufigsten Nebenwirkungen bei der Behandlung von Brustkrebs. Prof. Dr. phil. Joachim Weis von der Uniklinik Freiburg klärte im gemeinsamen Gespräch mit PINK! über Fatigue auf und gab wertvolle Tipps, wie Betroffene lernen können, mit der chronischen Erschöpfung besser zu leben. Alle Antworten im Interview.

Was sind die Hauptursachen für Fatigue bei Brustkrebspatientinnen?

Trotz intensiver Forschungen insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Ursachen der Fatigue bei Brustkrebspatientinnen noch nicht vollständig geklärt. Wir sprechen von einer tumorassoziierten Fatigue, d.h. dass die Tumorerkrankung selbst, aber auch die onkologische Therapie insbesondere die kombinierte Radio-/Chemotherapie oder die neuen personalisierten Therapieverfahren wie Immuntherapie oder IGF als eine der Hauptursachen angesehen werden können. Ebenso ist die antihormonelle Behandlung ein Risikofaktor für das Auftreten einer Fatigue. Dennoch gehen wir heute davon aus, dass die Fatigue multifaktoriell bedingt ist, und daher mögliche Einflüsse wie körperliche und psychische Begleiterkrankungen, subjektives Stresserleben, körperliche Verfassung, Schlafstörungen sowie Medikamenteneinnahme immer individuell abzuklären sind. Bei Studien zur tumorassoziierten Fatigue fand sich, dass neben der Depression auch Angst sowie Strategien der Krankheitsverarbeitung wie Vermeidung, Ablenkung oder problemlösungsorientierte Strategien das Erleben der Fatigue beeinflussen können.

Welche Symptome sind typisch für Fatigue?


Fatigue bei Krebs kann auf verschiedenen Ebenen in Form von körperlichen, kognitiven und emotionalen Symptomen auftreten. Auf der körperlichen Ebene äußert sich die Fatigue in einer reduzierten körperlichen Leistungsfähigkeit, Schwächegefühl, fehlender Ausdauer oder Energiemangel. Auf der emotionalen Ebene sind Antriebs- und Interesselosigkeit, erlebte Frustration sowie fehlende Motivation die häufigsten Symptome, während sich auf der kognitiven Ebene vor allem Probleme in den verschiedenen Formen der Aufmerksamkeit oder im Kurzzeitgedächtnis zeigen können. Je nach Ausprägung der Symptome kommt es zu einer starken Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und der allgemeinen Lebensqualität der Betroffenen.

Wie unterscheidet sich Fatigue von normaler Müdigkeit?

Die tumorassoziierte Fatigue unterscheidet sich von der normalen Müdigkeit vor allem darin, dass das Gefühl der starken körperlichen Erschöpfung und Abgeschlagenheit meist unabhängig von körperlichen oder geistigen Anstrengungen auftritt, nur geringe Schwankungen über den Tagesverlauf aufweist und sich durch Ausruhen oder Schlaf kaum verbessern lässt.

Wann tritt Fatigue während der Behandlung bei Brustkrebs typischerweise auf?

Aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren gibt es eigentlich keine ganz typischen Verläufe, sondern eher individuelle Unterschiede im Verlauf. Wir unterscheiden jedoch insgesamt drei Formen der Fatigue: Fatigue während oder unmittelbar nach Ende der onkologischen Therapie, Fatigue als Langzeitfolge (mehr als fünf Jahre) oder Fatigue in einer palliativen Situation.

Wie lange hält Fatigue im Normalfall an?

Zunächst müssen wir unterscheiden, ob es sich eine kurativ behandelte Brustkrebserkrankung oder eine palliative Situation handelt. In der palliativen Situation dauert die Fatigue meist sehr lange an, d.h. über viele Jahre, da die Frauen immer wieder tumorspezifisch behandelt werden müssen und sich auch psychisch in einer besonders belastenden Situation befinden. Für die kurativ behandelten Frauen kann man ganz grob sagen, dass sich erfreulicherweise für ungefähr ein Drittel der Patientinnen die Fatigue nach Ende der Therapie im Verlauf von ca. sechs Monaten bessert oder auch auf das Niveau von vor der Erkrankung zurückgeht. Ein weiteres Drittel leidet noch bis fünf Jahre nach Ende der Therapie unter Fatigue mit unterschiedlicher Ausprägung. Fatigue als Langzeitfolge länger als fünf Jahre bis teilweise auch lebenslang findet sich bei etwa 25-30 Prozent der betroffenen Frauen. Bei der Fatigue als Langzeitfolge sind zumeist weitere Einflussfaktoren wie psychosoziale Belastungen oder körperliche Spätfolgen der Tumortherapie abzuklären.

Welche Behandlungsmöglichkeiten empfehlen Sie gegen Fatigue?

Vor der Behandlung muss immer eine genaue Diagnostik der Fatigue stehen, da wir klären müssen, ob es behandelbare Ursachen gibt und welche Einflussfaktoren von Bedeutung sind. Da sich im Falle der tumorassoziierten Fatigue sich meist keine klaren somatischen Ursachen identifizieren lassen, steht in der Regel eine symptomatische Behandlung an erster Stelle, d.h. man versucht über verschiedene Methoden die Symptome der Fatigue zu reduzieren. Es liegen mittlerweile eine Reihe von wissenschaftlich begründeten Leitlinien vor, die alle relativ übereinstimmend für körperliche Bewegung, Sport und Bewegungstherapie in Kombination mit psychoedukativen Therapieansätzen die beste Evidenz aufweisen. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Reduktion des Stresserleben wie Mind-Body-Verfahren oder die Unterstützung einer aktiven Krankheitsverarbeitung durch psychotherapeutische Angebote zusammen mit verschiedenen Strategien zur Entspannung auch empfehlenswert. Eine medikamentöse Behandlung, beispielsweise durch Psychostimulantien oder Ginseng-Präparate, kann in Einzelfällen auch erwogen werden. Heute stehen auch digitale Unterstützungsangebote zur Behandlung der Fatigue durch Apps zur Verfügung, die die Selbsthilfeaktivitäten der Person im Umgang mit Fatigue stärken können und erste vielversprechende Evaluationsergebnisse aufweisen.

Welche Rolle spielt körperliche Aktivität bei der Bewältigung von Fatigue?

Der körperlichen Aktivität kommt wie oben erwähnt in der Behandlung, aber auch als Selbsthilfestrategie eine besondere Bedeutung zu, weil sie hilft, den Teufelskreis aus Müdigkeit, Stresserleben, Muskelabbau und Verschlechterung der gesamten körperlichen und seelischen Situation entgegenzuwirken.

Welche drei Maßnahmen können Patientinnen sofort ergreifen, wenn sie Symptome von Fatigue bemerken?

  • mit ihrem Arzt darüber sprechen und sich über Fatigue mit Hilfe von Broschüren oder Webseiten informieren
  • Fatigue akzeptieren und im Alltag darauf durch gute Zeiteinteilung und Planung der Alltagsaktivitäten Rücksicht nehmen
  • sich regelmäßig körperlich bewegen und aktiv betätigen, dabei Überforderung vermeiden und für Entspannung und Ausgleich sorgen.

Bei stark ausgeprägter Fatigue sollten jedoch eine genaue diagnostische Abklärung erfolgen und geeignete Behandlungsmaßnahmen unter fachlicher Anleitung wie zum Beispiel Sport- und Bewegungstherapie angestrebt werden

Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie Brustkrebspatientinnen in Bezug auf Fatigue mitgeben möchten?

Fatigue ist ein komplexes und vielschichtiges Problem, für das es oft keine einfachen und schnellen Lösungen gibt. Aber wir verfügen heute über eine Reihe von Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten und können daher den meisten Patientinnen helfen, wenngleich wir das Problem selten komplett zum Verschwinden bringen können. Sprechen Sie das Thema offen mit Ihren behandelnden Ärzten und Ärztinnen an, damit Ihnen geholfen werden kann und Sie an entsprechende Fachpersonen vermittelt werden können.

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