Interview mit Dr. med. Beate Müller
Ein starkes Immunsystem ist für Brustkrebspatientinnen besonders wichtig – doch welche Impfungen sind vor, während oder nach der Therapie sinnvoll und erlaubt? Welche Impfstoffe sind sicher und wann ist der beste Zeitpunkt für eine Impfung? Darüber haben wir mit Universitäts-Professorin Dr. med. Beate Müller, Direktorin am Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Köln AöR, gesprochen.
Wann dürfen sich Brustkrebspatientinnen impfen lassen?
Impfungen sollten am besten vor dem Beginn einer immunsupprimierenden Therapie (z.B. Chemo, Immuntherapie usw.) stattfinden. Immunsupprimierend bedeutet, dass Krebszellen angegriffen werden, aber eben auch das eigene Immunsystem geschwächt wird. Dadurch kann es seiner Aufgabe nicht mehr in vollem Umfang nachkommen und der Körper ist nicht mehr so gut vor Infektionen geschützt. Beim Verabreichen von Totimpfstoffen sollte ein Abstand von zwei Wochen zum Beginn einer Therapie eingehalten werden und bei Lebendimpfstoffen ein Abstand von vier Wochen.
Wenn eine Impfung vor Beginn der immunsupprimierenden Therapie zeitlich nicht möglich ist, können Totimpfstoffe auch währenddessen verimpft werden. Nach Abschluss der immunsupprimierenden Behandlung werden grundsätzlich Wiederholungsimpfungen empfohlen, damit sich das Immunsystem wieder an den Erreger erinnert und wieder einen Immunschutz aufbauen kann. Eine Impfung mit Lebendimpfstoffen ist während der Behandlung und auch mindestens sechs Monate danach nicht möglich.
Welche Impfstoffe sind für Brustkrebspatientinnen geeignet – Lebendimpfstoffe oder Totimpfstoffe?
Bei beiden Arten der Impfung ist das Ziel, eine Reaktion des Immunsystems hervorzurufen, wodurch sich Gedächtniszellen bilden und unser Körper vor einer Infektion besser geschützt ist. Totimpfstoffe enthalten den abgetöteten Krankheitserreger oder kleine Bestandteile davon. Lebendimpfstoffe hingegen enthalten abgeschwächte, prinzipiell vermehrungsfähige Viren.
Beispiele für Totimpfstoffe: Grippe (Influenza), Tetanus, Keuchhusten (Pertussis), Covid 19, RSV, Gürtelrose (Herpes zoster)
Beispiele für Lebendimpfstoffe: Masern, Mumps, Röteln, Windpocken (Varizellen)
Während einer immunsupprimierenden Therapie sind grundsätzlich nur Totimpfstoffe erlaubt. Lebendimpfstoffe dürfen während einer immunsupprimierenden Therapie nicht verabreicht werden, da diese zu Beschwerden führen können. Das Immunsystem ist unter der immunsupprimierenden Therapie nicht voll funktionsfähig und so können auch die abgeschwächten Erreger aus den Lebendimpfstoffen zu schweren Symptomen führen.
Welche Impfungen sollten idealerweise vor Beginn einer Krebsbehandlung durchgeführt werden?
Falls kein Impfschutz besteht und es zeitlich möglich ist, sollten vor dem Start einer Krebsbehandlung vor allem die Lebendimpfstoffe verabreicht werden, also Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. Grundsätzlich sollte der Impfstatus vor Beginn einer immunschwächenden Therapie überprüft werden, damit Patientinnen bestmöglich vor Infekten geschützt sind.
Gibt es bestimmte Impfungen, die vor einer Chemotherapie oder anderen Behandlungen wie Bestrahlung oder Antihormontherapie besonders wichtig sind?
Es wird empfohlen, vor Chemotherapie, Antihormontherapie oder anderen Behandlungen einmalig zu überprüfen, ob die Betroffene die Windpocken (Varizellen) hatte und der Immunschutz im Blut nachweisbar ist. Das geht über eine einfache Blutabnahme. Falls kein Immunschutz vorhanden ist, sollte eine zweimalige Impfung durchgeführt werden, sofern der Abstand von vier Wochen bis zum Start der Therapie eingehalten werden kann. Falls der Immunschutz nicht ausreicht und die Impfung nicht gegeben werden kann, sollten Patientinnen den Kontakt zu Personen mit Windpocken (vor allem Kleinkindern) und auch zu Personen, die frisch gegen Windpocken geimpft wurden, vermeiden. Für den Fall, dass doch ein Kontakt stattfindet, gibt es Medikamente, die eingenommen werden können, eine sogenannte Postexpositionsprophylaxe. Wichtig ist in jedem Fall, Rücksprache mit der betreuenden Ärztin oder dem betreuenden Arzt zu halten.
Ist die Gürtelrose-Impfung für Brustkrebspatientinnen sinnvoll, und wenn ja, wann sollte sie idealerweise durchgeführt werden?
Das Risiko einer Gürtelrose ist für Brustkrebspatientinnen erhöht. Gürtelrose ist eine Erkrankung, die sehr schmerzhaft sein kann und manchmal über Monate bis Jahre noch zu Schmerzen führt. Patientinnen im Alter von mindestens 50 Jahren wird deshalb eine Impfung mit dem Totimpfstoff gegen Gürtelrose am besten vor Beginn, ansonsten aber auch während einer immunsupprimierenden Therapie empfohlen. Die Impfung verringert das Risiko für die Erkrankung, kann sie allerdings nicht ganz verhindern.
Gibt es Einschränkungen oder Empfehlungen für Impfungen während einer Antikörpertherapie?
Während einer Antikörpertherapie funktioniert das eigene Immunsystem nicht wie gewohnt. Daher ist eine Impfung mit Lebendimpfstoff während einer Antikörpertherapie nicht möglich, eine Impfung mit Totimpfstoffen aber schon. Den genauen Termin der Impfung sollte der zuständige Arzt oder die zuständige Ärztin wählen. Es kommt dabei zum Beispiel auf den richtigen Zeitpunkt im Therapiezyklus an und auch darauf, ob das Blutbild eine ausreichende Zahl weißer Blutkörperchen anzeigt.
Wie sieht es mit Impfungen unter Antihormontherapie oder während einer Bestrahlung aus?
Grundsätzlich kann bei Antihormontherapie und Bestrahlung geimpft werden, hier gelten dieselben Grundsätze wie bei anderen immunsupprimierenden Therapien.
Was sind die häufigsten Missverständnisse oder Unsicherheiten bei Krebspatientinnen in Bezug auf Impfungen?
Bei Unsicherheiten in Bezug auf den richtigen Impfschutz bei Brustkrebs sollten Patientinnen immer die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ansprechen und um Erklärungen bitten. So können häufige Missverständnisse ausgeräumt werden. Zwei Mythen kommen in den Beratungsgesprächen zum Impfen immer wieder auf, die auch auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts erklärt werden:
Verändern mRNA Impfstoffe unser Erbgut? – Nein. Wichtig zu wissen ist, dass mRNA (messenger RNA) natürlicherweise in jeder Zelle des menschlichen Körpers vorhanden ist, im sogenannten Zellplasma. Die menschliche DNA hingegen liegt immer im Inneren des Zellkerns. Dorthin gelangt die mRNA aus Impfstoffen jedoch nicht. Sie transportiert einen Teil des Bauplans des jeweiligen Virus (zum Beispiel Covid-19) ausschließlich in das Zellplasma, kann aber nicht in den Zellkern menschlicher Zellen eindringen und so auch nicht unser Erbgut verändern.
Verursachen Impfstoffe Krebs? – Nein. Die Inhaltsstoffe von Impfungen werden weltweit von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr genau überwacht, sodass es auffallen würde, wenn krebserregende Stoffe in Impfungen gelangen würden. Außerdem werden Krebsfälle international in sogenannten Krebsregistern gesammelt. Wir würden also bemerken, wenn sich Krebsfälle nach bestimmten Impfungen häufen würden. Auch nach vielen Milliarden verabreichter Impfstoffdosen gibt es keine wissenschaftlichen Hinweise, dass Impfstoffe Krebs hervorrufen. Impfstoffe können aber sehr wohl Krebserkrankungen verhindern, zum Beispiel die HPV-Impfung und die Impfung gegen Hepatitis B.
Auch wenn man sich gerade nicht impfen lassen kann oder nicht möchte, kann man sich gegen Infektionen schützen. Die entsprechenden Maßnahmen kennen wir alle noch zu gut aus der Covid-19-Zeit: AHA – Abstand, Hygiene (Händewaschen, Desinfektion) und bei Bedarf Atemmasken.
Wie können Ärztinnen und Ärzte Brustkrebspatientinnen dabei unterstützen, die richtigen Impfentscheidungen zu treffen?
Wichtig ist eine offene Kommunikation über Pro und Kontra der einzelnen Impfungen, über Unterschiede zwischen den einzelnen Impfstoffen und natürlich auch über Unsicherheiten und Fragen.
Fazit
Ein starkes Immunsystem ist für Brustkrebspatientinnen essentiell, um Infektionen vorzubeugen. Vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie sollten daher der Impfstatus überprüft und fehlende Impfungen, insbesondere mit Lebendimpfstoffen wie Masern, Mumps, Röteln und Windpocken, durchgeführt werden. Während der Behandlung sind Totimpfstoffe erlaubt, jedoch können Lebendimpfstoffe aufgrund des geschwächten Immunsystems zu Komplikationen führen und sollten daher vermieden werden. Nach Abschluss der Therapie werden Wiederholungsimpfungen empfohlen, um den Immunschutz aufzufrischen. Wichtig: Patientinnen sollten Impfentscheidungen immer in enger Absprache mit ihren behandelnden Ärzten treffen, damit ein optimaler Schutz gewährleistet ist.
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