Stillen während und nach einer Strahlentherapie: sinnvoll oder schädlich?

Interview mit Sabine Seiler von der ‚German Breast Group‘
Die Frage danach, ob Mütter während oder nach einer Strahlentherapie ihre Säuglinge stillen sollten und können oder ob das dem Kind sogar schadet, verunsichert viele Brustkrebspatientinnen. Wir haben mit Gynäkologin Sabine Seiler von der ‚German Breast Group‘ zu diesem Thema gesprochen und erklären euch, wie sich eine Strahlentherapie auf die Muttermilch und den Stillvorgang auswirken kann und worauf stillende Brustkrebspatientinnen achten sollten.
Wie wirkt sich eine Strahlentherapie auf die weibliche Brust aus?

Eine Strahlentherapie schädigt das Erbgut der bestrahlten Zellen. Dies betrifft sowohl gesunde Zellen als auch Krebszellen. Krebszellen verfügen jedoch nicht über ein so gut funktionierendes Reparatursystem wie normale Zellen. Deshalb können sie die Strahlenschäden nicht reparieren und sterben ab. Dank moderner Techniken ist die Strahlentherapie bei Brustkrebs heute genauer planbar und verträglicher als früher. Dennoch lassen sich Nebenwirkungen am gesunden Gewebe leider nicht vermeiden, die je nach Intensität und Dauer der Bestrahlung unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Zu diesen Nebenwirkungen gehören langfristige und bleibende Veränderungen des Brustdrüsengewebes und eine damit einhergehende Verhärtung des Bindegewebes. Diese so genannte Fibrose führt zu einer verminderten Elastizität des Brustdrüsengewebes und kann das Brustwachstum bzw. die Ausbildung der Brustdrüsengänge und der milchbildenden Zellen während einer Schwangerschaft einschränken. Durch diese Umbauprozesse ist nach einer Strahlentherapie auch mit einer verminderten Milchproduktion auf der betroffenen Seite zu rechnen. Auch eine veränderte Zusammensetzung der Milch – unter anderem weniger Fett und mehr Salz – und damit ein veränderter Milchgeschmack wurden beobachtet. Auch die Elastizität der Haut und der Brustwarzen nimmt nach der Bestrahlung ab, so dass sich die Brustwarzen nach der Bestrahlung unter Umständen nicht mehr richtig ausdehnen und dem Säugling das Trinken erschweren. Säuglinge zeigen daher in vielen Fällen trotz vorhandener Milch bei der Mutter eine starke Präferenz für die unbehandelte Brust und können das Stillen an der bestrahlten Brust verweigern.

Wie ist die Prognose, mit der bestrahlten Brust bzw. nach einer brusterhaltenden OP noch stillen zu können und wovon hängt es ab, ob das möglich ist?
Veränderungen der Brust nach einer Operation mit anschließender Bestrahlung bedeuten nicht zwangsläufig, dass das Stillen unmöglich ist. Nach einer Brustkrebserkrankung kann mit der anderen, nicht betroffenen Brust gestillt werden und etwa 50 Prozent der Frauen können mit Einschränkungen zudem auch mit der betroffenen Seite stillen. Ob eine Frau nach einer Brustkrebsbehandlung auf der betroffenen Seite stillen kann, hängt jedoch von vielen weiteren, individuellen Faktoren ab. Neben der Intensität und Dauer der Bestrahlung der Strahlentherapie spielt hier die vorausgegangene operative Behandlung der Brust eine entscheidende Rolle. Zwar wird bei einer brusterhaltenden Operation das Drüsengewebe bei der Entfernung des Tumors weitgehend erhalten. Dennoch kann es je nach Lage und Größe des Tumors zu Verletzungen oder Durchtrennungen der Drüsenausführungsgänge, Narbenbildungen und Einziehungen der Brustwarze kommen. Zudem können Nerven verletzt werden, was zu einer Beeinträchtigung der Brustwarzen- und Milchbildungsreflexe führen kann. Grundsätzlich gilt: Je aufwendiger und größer die Operation, desto eher kann es zu Komplikationen beim Stillen kommen.
Was sollte bei der brusterhaltenen OP berücksichtigt werden, um das spätere Stillen noch zu ermöglichen?
Die Art der brusterhaltenden Operation, der Umfang und die Schnittführung hängen unter anderem davon ab, wie groß der Tumor ist, wo er sich befindet und welche biologischen Eigenschaften er hat. Auch die Größe der Brust der Patientin und ihre Wünsche spielen eine große Rolle. Ziel der brusterhaltenden Operation ist es, den Tumor vollständig zu entfernen und dabei so viel gesundes Gewebe wie möglich zu erhalten. Wenn eine junge Frau zum Zeitpunkt der Diagnose ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen hat und sich vorstellen kann, später zu stillen, sollte sie dies mit dem operierenden Arzt besprechen, damit er die chirurgischen Möglichkeiten mit der Patientin besprechen kann, um gegebenenfalls die Wahrscheinlichkeit für einen späteren Stillerfolg zu erhöhen. Natürlich muss aber die Sicherheit der Patientin immer an erster Stelle stehen.
Kann es Risiken und Nachteile haben, wenn eine Frau mit der bestrahlten Brust stillt?
Stillen hat unbestreitbare Vorteile für Mutter und Kind und Muttermilch ist die beste Nährstoffquelle für das Baby. Auch stellt die Bestrahlung kein gesundheitliches Risiko für das Kind dar. Aufgrund der zumeist reduzierten Milchbildung sollte aber das Gewicht des Säuglings engmaschig kontrolliert werden.
Gibt eine spezielle Bestrahlungsart, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, später mit der bestrahlten Brust noch (oder besser) stillen zu können?
Leider gibt es derzeit noch keine Studien, die unterschiedliche Bestrahlungsarten im Hinblick auf das Stillen nach Brustkrebs ausreichend untersucht und verglichen haben. Bestrahlungstechniken, bei denen nur Teile der Brust bestrahlt werden, werden derzeit nur für Patientinnen über 50 Jahre empfohlen und kommen für Patientinnen im gebärfähigen Alter nicht in Frage.
Gibt es vorbeugende Maßnahmen, um das Stillen nach der Bestrahlung zu ermöglichen?
Frauen, die eine Schwangerschaft planen und stillen möchten, sollten sich frühzeitig an eine erfahrene und geschulte Stillberaterin oder Hebamme wenden, die eine erste Einschätzung der Erfolgsaussichten des Stillens unter Berücksichtigung der vorangegangenen Brustkrebstherapie vornehmen und mit der Familie dann das individuell optimale Stillmanagement planen kann. Da die überwiegende Mehrheit der Frauen für eine erfolgreiche und ausreichende Milchproduktion vor allem auf die unbehandelte Brust angewiesen ist, sollte auch diesem Thema besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Hauptziel des Stillmanagements nach der Geburt besteht darin, die Milchproduktion so früh wie möglich anzuregen. Um dies zu erreichen, kann das Kind von Anfang an häufig angelegt und bei Bedarf auch abgepumpt werden. Natürlich sollte auch auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden.
Kann auch erfolgreich nur mit der gesunden Brust gestillt werden oder schadet das dem Säugling?
Die Milchproduktion in der nicht betroffenen Brust ist in der Regel nicht beeinträchtigt, so dass die Frauen nach einer Brustkrebstherapie mit der anderen, nicht betroffenen Brust stillen können. Dies schadet dem Säugling in keiner Weise, da auch eine Brust allein bei optimalen Stillmanagement ausreichend Milch für den Säuglings produzieren kann.
Hat das Stillen Einfluss auf Brustkrebs?
Generell hat sich gezeigt, dass Stillen vor Brustkrebs schützt. Frauen, die über einen längeren Zeitraum stillen, haben im Vergleich zu Frauen, die nicht stillen, ein geringeres Risiko, später im Leben an Brustkrebs zu erkranken. Dennoch haben viele Frauen, die bereits an Brustkrebs erkrankt sind, Angst, dass das Stillen in dieser Situation ihre Prognose verschlechtern könnte. Glücklicherweise gibt es aber keine Hinweise darauf, dass Stillen nach einer Brustkrebstherapie das Risiko erhöht, erneut an Brustkrebs zu erkranken oder einen Rückfall zu erleiden.
Der Verzicht auf eine Strahlentherapie nach einer brusterhaltenden Therapie ebenso wie eine Verzögerung des Beginns der Strahlentherapie können das Risiko eines Wiederauftretens der Erkrankung erhöhen. Deshalb sollte diese Therapie zeitgerecht geplant und durchgeführt werden. Hier geht die Sicherheit der Patientin vor.
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