In ihrem Hamburger Studio ‚Königinnen‘ entwerfen die beiden Maskenbilderinnen Jasmin und Ann-Kathrin Perücken für Menschen mit Krebs oder Haarausfall. Im Gespräch mit PINK! haben sie erzählt, wie sie arbeiten, was sie an ihrem Job besonders erfüllt und wie ihre Kundinnen sie täglich inspirieren.
Stellt euch bitte kurz vor: Was genau macht ihr in eurer Werkstatt und was erfüllt euch an eurer Arbeit?
Gestatten: Jasmin Soufi & Ann- Kathrin Guballa, 54 Jahre alt, Maskenbilderinnen von Beruf. Die Werkstatt für Haararbeiten gibt es seit 2010, seit 2015 sind wir zu zweit. Wir arbeiten für Menschen, die an krankheits- und erbbedingten Haarverlust leiden, haben auch Lösungen für Unfallopfer, Menschen mit Geschlechtsumwandlungen parat. Auch Crossdresser gehören zu unseren Kunden. Wir bieten Haarersatz für jedes Budget und sind bemüht, die Wünsche unserer Kunden zu erfüllen, auch wenn es unkonventionell wird. „Zufrieden ist, wer Gutes tut“, sagte schon Mutter Theresa. Für jeden Hilfebedürftigen die passende Lösung zu finden und diese handwerklich umzusetzen, das ist unser Anspruch und Ansporn.
Wie läuft ein Termin bei euch ab?
Wir arbeiten ausschließlich termingebunden, sodass wir in Ruhe verschiedene Modelle – wie Kunsthaar- oder Echthaarperücken oder andere Fasern – ausprobieren können und die Vor- und Nachteile aufzeigen, sowie Pflegeaufwand, Styling etc. besprechen.
Wie kommt man an eine Perücke bei euch und bekommen Kundinnen beim Kauf Unterstützung durch die Krankenkasse?
Einfach erstmal einen Termin machen! Es gibt keine Voraussetzungen. Unterstützung bekommen Betroffene bei allen Krankenkassen. Modelle, die von den Krankenkassen übernommen werden, können mit etwas handwerklichem Geschick und Abspeckung der eigenen Anforderungen durchaus gut aussehen. Die Krankenkassen zahlen das Nötigste, der Rest ist Eigenanteil. Das Rezept kommt vom Arzt, die Formalitäten übernehmen wir. Darüber hinaus empfehlen wir, die eigene Familie und Freunde „anzupumpen“. Die sind oft ganz froh, dass sie etwas tun können und kommen nicht selbst auf die Idee. Das Schnorren kann auch gern eine Freundin oder ein Freund übernehmen. Auf keinen Fall vorab schon mal die Haare abschneiden, sondern erstmal einen Besuch bei uns abwarten.
Worauf legt ihr Wert bei der Erstellung eurer Perücken?
Wir fertigen nicht für jeden Kunden eine Perücke oder ein Haarteil neu an, sondern nutzen das Angebot von verschiedenen Herstellern und arbeiten diese gegebenenfalls um. Dazu zählt das Färben von Verläufen, Setzen von High- oder Downlights und Schneiden. Wir knüpfen aber auch eigene Haare in fertigen Haarersatz. Manchmal aber passt und gefällt ein bestimmtes Modell direkt. Bei Maßanfertigungen muss ein Kopfabdruck gemacht, eine sogenannte Montur genäht, geknüpft und geschnitten werden. Das ist etwas aufwändiger. Wert legen wir darauf, dass ein Haarersatz nicht als solcher sichtbar ist, dass die Kunden sich gut und sicher damit fühlen und der Umgang damit machbar ist. Was nützt schließlich eine super Perücke, wenn die Kundin diese nicht selbst waschen und frisieren kann. Wir hoffen, dass unsere Kunden ihren geliebten Sport mit Haarersatz machen können und wünschen uns, dass das Lebensgefühl und die Freude daran, unter Menschen zu sein, wiederkommt. Wir wollen zu einer Normalität verhelfen können, auch wenn die Situation bei einigen Betroffenen gerade alles andere als normal ist. Kleine Anekdote: „Mit meiner Perücke bin ich so herrlich unsichtbar“ bemerkte eine Dame, kurz bevor sie den Laden verließ und warf den Kopf (mit Perücke darauf) stolz und selbstbewusst in den Nacken.
Wie kommen die Kundinnen zu euch und wie gehen sie nach Erhalt ihrer neuen Perücke?
Niemand kommt gern zu uns. Sie kommen in Begleitung, ohne Begleitung, ansteckend optimistisch, schlecht gelaunt, ängstlich, bockig, verzweifelt, neugierig. Perücken haben immer noch ein schlechtes Image. Im besten Fall gehen unsere Kunden mit wiedererlangter Selbstverständlichkeit. Auch Würde ist ein sehr großes Wort in dem Zusammenhang. In dem Moment, wenn die Haare bei einer Chemotherapie ausfallen, sieht die Öffentlichkeit die Erkrankung. Was dann von Außenstehenden gespiegelt wird, ist oft Unsicherheit, Mitleid und Ablehnung.
Gibt es ein Erlebnis in eurem Laden, das besonders in Erinnerung geblieben ist?
Eins? 1000! Die Arbeit für Kinder ist sehr berührend, da sie so tapfer, aber auch angstfreier sind. Der unterschiedliche Umgang mit der Diagnose Krebs ist beeindruckend. Mit dem Krebs ändert sich von jetzt auf gleich alles. Wie wenn man am falschen Bahnhof rausgeworfen wurde, sich nicht auskennt und mit einem D-Zug in eine völlig fremde und falsche Richtung düst. Um beim Bild zu bleiben: Das Reiseziel anzunehmen und wieder Kontrolle über das eigene Leben zu bekommen, positive Energie freizusetzen, puh, Hut ab. Es gibt so einige Kundinnen, die ihr Leben komplett umgekrempelt haben. Da ist zum Beispiel eine Frau, die jetzt Krebskranken mit ihrer ganzheitlichen Krebsberatungsagentur hilft, eine Modedesignerin, die nach Barcelona ausgewandert ist, eine Pferdenärrin, die sich (endlich) den Wunsch erfüllt hat und sich ein a…teures Islandpony gekauft hat, Frauen, die ihre Männer nochmal geheiratet haben, Frauen, die sich von ihren Männern getrennt haben, eine Zeichnerin, die ein ganz tolles Comic über ihre Erkrankung veröffentlicht hat. Und dann sind da die, die es nicht schaffen werden. Menschen zu begleiten, die ihre Urangst „Sterben“ überwunden haben und/oder ihren Frieden damit gemacht haben, ist extrem und inspirierend. Und auch an dieser Stelle ziehen wir den Hut.
Für mehr Infos und Terminvereinbarungen schaut auf der Homepage der ‚Königinnen‘ vorbei.
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