"Ich habe mir selbst gegenüber Mitgefühl geschenkt"

Interview mit Nicole Kultau.
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Nicole Kultau bekam vor 12 Jahren die Diagnose Brustkrebs. Sie bezeichnet sich selbst als ‚Mutmacherin‘ und unterstützt im Netz andere betroffene Frauen auf ihrem Weg. Im Interview mit PINK! verrät sie, was ihr auch heute noch dabei hilft, in schweren Phasen nicht den Mut zu verlieren.

Was hat dir dabei geholfen bzw. hilft dir dabei, deine Erkrankung zu verarbeiten? Was rätst du anderen Patientinnen im Hinblick auf die Krankheitsverarbeitung?

Mittlerweile liegt meine Erkrankung wertvolle 12 Jahre zurück. Das Jahr 1 nach den großen Behandlungsblöcken ist vermutlich mit das Schwerste. Bei mir kam noch hinzu, dass ich zwei Jahre nach meiner Diagnose die Diagnose BRCA2 erhielt. Das heißt, dass meine Erkrankung genetisch bedingt war. Von der Diagnose erfuhr ich zu einem Zeitpunkt, wo viele von uns ein wenig Abstand zur Erkrankung gewinnen können. Dies war mir verwehrt.

Geholfen bei allen schweren Phasen hat mir das Schreiben, durch das ich vieles verarbeiten konnte. Aber auch wertvolle Gespräche mit mir nahestehenden Personen und Freundinnen, die ebenfalls die Diagnose Brustkrebs durchstanden hatten. Das Wissen und Verstehen um die Erkrankung Brustkrebs entwickelte sich sehr schnell zu einem Werkzeug der Verarbeitung – wenn ich auch weiß, dass dies nicht für jede Frau in Frage kommt.

Das Besinnen auf Rituale, Konfetti-Momente, Rituale zur Verankerung im Alltag und die Liebe zu meinem Sohn und das Leben, halfen mir wesentlich dabei, neuen Mut zu fassen. Und nicht zu vergessen: Mein Engagement durch mein Blogazin für an Brustkrebs und Krebs erkrankte Menschen und ihre Angehörigen hat in mir unglaubliche Ressourcen freigesetzt. Nichts von allem möchte ich heute mehr vermissen.

Wie bist du mit Nebenwirkungen von Behandlungen umgegangen bzw. gehst damit um?

Aktuell sind meine Behandlungen abgeschlossen. Heute habe ich „nur“ noch mit den Spätfolgen zu kämpfen. Die Behandlungen und im Anschluss die AHT durchzuziehen, halfen mir auch hier, das Wissen um die Wirkungsweisen der Behandlungen zu verstehen. Ich wollte nichts unversucht lassen, mir die Chance auf einen Therapieerfolg nehmen zu lassen. Stellenweise war es echt hart. Meine Nebenwirkungen habe ich meinem Behandlerteam gegenüber offen angesprochen. Nicht immer konnte mir geholfen werden, gerade in Bezug auf die AHT, bei der scheinbar viele ÄrztInnen den Nebenwirkungen ratlos gegenüber stehen. Ich habe vieles ausprobiert und das, was mir nicht geholfen hat, wieder verworfen. Es mag vielleicht seltsam klingen, aber ich habe mir selbst gegenüber Mitgefühl geschenkt, oft auf meine innere Stimme gehört und mir zum Ausgleich viel Gutes geschenkt. Das Schwimmen half mir, Lymphdrainagen, manches Mal Galgenhumor und ganz viel Langmut.

Inwiefern bist du selbst aktiv geworden, damit es dir besser geht?

Zum einen habe ich mir Wissen angeeignet, denn das Verstehen um Erlebtes hilft dabei, teils traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Ich war auf der Suche nach Lösungen und Alternativen. Vor allem auch dann, als es von vielen Seiten hieß, das müsse man so hinnehmen oder man wüsste keinen Rat für mich. Das war mir zu wenig.

Mir hat es zudem sehr geholfen, meine Gedanken und Gefühle nicht zu verneinen. Stellenweise hatte ich dafür Unterstützung durch eine Psychoonkologin. Für mich persönlich habe ich auch die schwersten Gedanken zugelassen und auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass ich an der Krebserkrankung sterben kann. Durch diesen Mut habe ich neue Freiräume kennengelernt und entsprechend erobert. Und auch wenn ich emotional und körperlich ganz, ganz tief unten war, wusste ich doch immer, dass die Kraft in mir liegt, mich wieder zu berappeln und aus diesem Tief herauszufinden. Denn ich will leben. Möglichst gut, mit beiden Beinen im Leben stehend und all das wertschätzen, was mein Leben ausmacht. Auch in den nicht so leichten Augenblicken eines Alltags.

Mein Sohn ist bei alledem zudem für mich ein großer Motivator, für den ich weiterhin eine aktive Mutter sein wollte, nicht nur weil er mich braucht, sondern ja, ich wollte nicht an den Ungeheuern einer Krebserkrankung zerschellen und alldem, was sie so mitbringt.

Wie stehst du zu „digitaler Gesundheit“ und welche Rolle spielt sie selbst in deinem Leben?

Ich bin fest überzeugt davon, dass die Zukunft in einer erweiterten, digitalen Betreuung und Begleitung durch evidenzbasierte Unterstützungsangebote liegt – zur Rückgewinnung für mehr wertvolle Lebensqualität der AnwenderInnen und um bestehende Versorgungslücken zu schließen. Dazu trägt auch eine Gesundheits-App wie ‘Pink! Aktiv gegen Brustkrebs‘ bei. Die Digitalisierung außer Acht zu lassen, wird uns Menschenleben kosten und ist heute ethisch nicht mehr zu vertreten. Wir brauchen ein Gesundheitssystem, welches sich an Menschen orientiert und nicht ein Gesundheitssystem, an das sich Menschen anpassen müssen. Das betrifft ohnehin unser gesamtes bürokratisches System, welches unglaublich viel Zeit und Ressourcen kostet.

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