Wir wollen den Frauen ein Stück weit Normalität zurückgeben.

Interview mit Tätowierer Andy Engel
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Andy Engel gilt weltweit als einer der besten Tätowierer für Fotorealismus. Seit 2008 hat er sich mit seinem Unternehmen „medbwk” auf die fotorealistische Brustwarzenrekonstruktion spezialisiert, um an Brustkrebs erkrankten Frauen ein Stück weit ihr Lebensgefühl zurück zu geben.

PINK! verriet er im Interview, wie es zu dieser Entscheidung kam, warum nicht jeder Tätowierer das Zeug für diese Art von Tattoos hat und welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Brustwarze mithilfe eines Tattoos rekonstruieren zu lassen.

Welche persönliche Intention steckt hinter der Idee, Brustwarzen-Tattoos zu stechen?

Andy Engel: Vor 14 Jahren kam eine 60-jährige Frau zu mir in den Laden, die meine Porträt-Tattoos kannte. Sie war der Meinung: Wenn ich Portraits machen kann, kann ich auch Brustwarzen stechen. Sie selbst hatte durch Krebs und ihre Brust-OP eine verloren und wollte sie gerne wiederhaben. Und so ist das alles entstanden. Und die Reaktionen der Kundinnen haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass ich das mache. Mit jeder Frau, die im Studio war und der wir helfen konnten, hat sich das mehr gesteigert. Im Prinzip wollen wir also den Frauen ein Stück weit Normalität zurückgeben und sie dabei unterstützen, zurück ins Leben zu finden. Wie wertvoll dieser letzte Schritt ist, sieht man bei jeder einzelnen Frau. Inzwischen tätowiere ich  rund 250 Frauen im Jahr. 

Kann jeder gute Tätowierer Brustwarzen-Tattoos machen oder wo genau liegen die feinen Unterschiede?

Jeder Tätowierer, der fotorealistisch in 3D tätowieren kann, kann theoretisch auch diese Tattoos machen. Der größte Knackpunkt dabei ist, dass man auch das handwerkliche Know-How drauf haben und genau wissen muss, welche Farben man dafür verwendet. Denn der 3D-Effekt ist bei den meisten Tätowierern  nach vier bis sechs Monaten wieder verschwunden, weil Farben nicht halten bzw. weil das „Handwerk” nicht korrekt passt. Hinzu kommt, dass durch die Operationen, Bestrahlungen und Narben  so viel Gewebe kaputt ist, dass es wesentlich schwerer ist, auf dieser Haut zu tätowieren. Es treten somit viele Probleme auf, die man bei gesunder Haut gar nicht erst hat, dass man schon viel Erfahrung braucht, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Unter anderem dunklen Pigmente bei Bestrahlungen nach oder sind unmittelbar nach dem Tätowieren nicht zu sehen – wohl aber nach dem Abheilen. Nach einer Bestrahlung ist die Haut sowieso komplett manipuliert, damit muss man umgehen können. Denn auf bestrahlter Haut gehen Farben in Richtungen, die man nicht erwartet hätte. Auch braucht man  spezielle Farben, Nadeln und Maschinen, um bei solchen Voraussetzungen diesen realistischen Effekt zu erzielen. Ich wusste zu Beginn zum Beispiel auch nicht, dass Narben die Möglichkeit haben, einzelne Pigmente anzustoßen. Deshalb habe ich im Laufe der Zeit spezielle eigene Farbtöne entwickelt, die unter anderem Narben retuschieren können, ohne dass die Narben nach dem Abheilen orange aussehen. Es war einfach viel „learning by doing”  bis dorthin, wo wir jetzt sind. Dementsprechend sollte diese Tattoos jemand mit viel Erfahrung stechen. Bei mir hat sich das durch die langjährige Zusammenarbeit mit Ärzten aus verschiedenen Bereichen wie Gynäkologen, Plastischen Chirurgen und Hautärzten ergeben, die uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ohne Ärzte im Hintergrund, auf die ich vertrauen kann, würde ich das so auch nicht machen.

Wie genau funktioniert die Brustwarzenrekonstruktion mittels Tattoo Schritt für Schritt?

Am Anfang steht die persönliche oder telefonische Beratung. Wir schauen die Brust an und beratschlagen, was individuell gemacht wird. Sofern die eine Brust noch erhalten ist, orientieren wir uns an der Brustwarze der gesunden Brust, um Form und Farbe möglichst anzugleichen. Muss die Brustwarze beidseitig rekonstruiert werden, können wir auf einen Katalog mit Bildern von natürlichen Brustwarzen zurückgreifen. Aus den Vorlagen suchen wir zusammen mit der Kundin dann die passende Brustwarze aus und passen sie  individuell an. Schließlich geht es an die Farbauswahl und natürlich werden alle Schritte mit der Kundin genauestens abgestimmt, damit sie genau das Ergebnis bekommt, was sie haben möchte. Das Stechen des Tattoos selbst dauert nur 60 Minuten, der ganze Termin nimmt drei bis vier Stunden in Anspruch. Vier Monate später wird nachkontrolliert und gegebenenfalls nachgearbeitet. Diese Kontrolltermine wiederholen wir nötigenfalls so oft, bis die Kundin zufrieden ist. Aber bei 70 Prozent der Frauen ist es mit einer einzigen Nachkontrolle getan.

Wann nach der OP kann man frühestens ein Brustwarzen-Tattoo machen lassen und welche Voraussetzungen müssen vorliegen?

Das Tätowieren der Brustwarze ist frühestens sechs Monate nach Abschluss der Behandlung möglich. Meine Empfehlung liegt sogar eher bei 1 – 1,5 Jahre nach der OP. Dann sind die Narben entspannt und richtig abgeheilt.  Schließlich kann Narbengewebe noch bis zu zwei Jahre lang arbeiten und sich verändern.

Wo liegen die Kosten für ein Brustwarzen-Tattoo und wird es von den Krankenkassen übernommen?

Bei uns zahlen die Frauen seit 14 Jahren 1666 Euro für ein solches Tattoo.  Alle weiteren Kosten, die innerhalb der ersten 1,5  Jahre beim  Nacharbeiten des Tattoos nötig sind, übernehmen wir von der „Andy Engel medbwk GmbH”. Da die Wundheilzeit der Haut 1-1,5 Jahre beträgt, kann man auch erst nach dieser Zeit sehen, ob das Tattoo wirklich passt und das ist natürlich unser Ziel: Eine glückliche, zufriedene Kundin. Nach diesen 1,5 Jahren ändert sich auch normalerweise nichts mehr an der Farbe oder vielmehr an der Farbintensität, außer natürlich nach weiteren Operationen, Hautveränderungen, oder wenn die Kundin zu oft in die Sonne oder ins Solarium geht.  Nach 14 Jahren ist es uns gemeinsam mit vielen Ärzten und viel Aufklärungsarbeit mit den Krankenkassen gelungen, dass über 60 Prozent aller Kassen die Kosten übernehmen. Um die 20 Prozent zahlen anteilig und nur einige wenige zahlen gar nichts.  Aber wir arbeiten daran: versprochen! 

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